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„Wenn Kirche mutig, kreativ und offen ist, dann sind junge Menschen da“

Bei Konzerten und besonderen Gottesdiensten fanden viele Menschen wieder einen Zugang zu Gemeinschaft und Spiritualität. Foto: privat
Bei Konzerten und besonderen Gottesdiensten fanden viele Menschen wieder einen Zugang zu Gemeinschaft und Spiritualität. Foto: privat

Die St.-Crucis-Gemeinde in Bad Sooden-Allendorf blickt auf ein ereignisreiches Jahr zurück. Im Interview spricht Pfarrer Hubertus Spill über Hoffnung in unsicheren Zeiten und die Frage, wie Kirche wieder nah am Leben der Menschen sein kann.

Es war ein bewegtes Jahr für die St.-Crucis-Gemeinde in Bad Sooden-Allendorf und eines, das Mut gemacht hat. Über 60 Veranstaltungen, von Konzerten und Lesungen bis zu thematisch gestalteten Gottesdiensten, haben gezeigt, wie lebendig Kirche sein kann, wenn sie sich öffnet, experimentiert und nah bei den Menschen bleibt. Im Mittelpunkt dieser Entwicklung steht Pfarrer Hubertus Spill, der es versteht, Glauben und Gegenwart miteinander zu verbinden – ohne Pathos, aber mit Herz und klarem Blick für das, was Menschen heute bewegt. Im Gespräch mit Mein WMK spricht er über den Aufschwung in seiner Gemeinde, über die wachsende Sehnsucht nach Hoffnung in Zeiten globaler Krisen und über die Kraft, die im Miteinander liegt. Er erzählt, warum ein kindliches Gebet für ihn den Kern der Weihnachtsbotschaft besser trifft als viele Predigten und was Kirche tun kann, um auch für junge Menschen wieder ein Ort der Begegnung und des Vertrauens zu werden.

Lieber Herr Pfarrer Spill, die St. Crucis-Gemeinde hat in diesem Jahr ungewöhnlich viele neue Wege beschritten mit über 60 Veranstaltungen, von Konzerten und Lesungen bis hin zu besonderen Gottesdiensten unter wechselnden Motti. Wenn Sie nun auf dieses bewegte Jahr zurückblicken: Was hat sich dadurch in der Gemeinde verändert – im Miteinander, im Glauben, vielleicht auch in der Wahrnehmung der Kirche vor Ort?

Pfarrer Hubertus Spill: Unsere Gemeinde erlebt einen echten Aufschwung. Das ehrenamtliche Engagement, vor allem in den Chören, hat stark zugenommen. Unsere Gottesdienste sind mit durchschnittlich 250 Besuchern so gut besucht wie nie, und auch die Spendenbereitschaft ist deutlich gestiegen. Zahlreiche Rückmeldungen zeigen: Unsere Angebote werden als lebendig und hoffnungsvoll erlebt – das stärkt das Miteinander und den Glauben.

Wir leben in einer Welt, die von Unsicherheit geprägt ist: Kriege, politische Spannungen, Klimawandel und die Debatte um eine mögliche Rückkehr der Wehrpflicht verunsichern viele Menschen. Welche Sorgen und Ängste nehmen Sie in Gesprächen mit Gemeindemitgliedern besonders wahr und wie versuchen Sie, ihnen seelsorgerlich zu begegnen?

Pfarrer Hubertus Spill: In unterschiedlichen Gesprächen spüre ich, wie sehr die Unsicherheit zugenommen hat: Viele haben Angst vor weniger Gesundheit, Kraft oder Sicherheit und sorgen sich um die Zukunft ihrer Familien. Oft höre ich die Frage: „Wie geht es mit uns weiter?“ In der Seelsorge ist mir wichtig, zuzuhören, Ängste ernst zu nehmen und gemeinsam nach Halt und Hoffnung zu suchen – ganz unabhängig davon, ob schnelle Lösungen bereitstehen. Zusammenhalt, ehrliches Gespräch und praktische Unterstützung schaffen Vertrauen und neue Zuversicht in schwierigen Zeiten.

Wenn Sie an die bevorstehende Advents- und Weihnachtszeit denken, eine Zeit, die traditionell von Hoffnung geprägt ist, was bedeutet das Weihnachtsfest in diesem Jahr, in einer Welt, die vielerorts aus den Fugen geraten scheint? Wo lässt sich für Sie persönlich der Kern der weihnachtlichen Botschaft heute finden?

Pfarrer Hubertus Spill: Ein Mädchen hinterließ folgendes Gebet im Besucherbuch der Kirche: „Lieber Gott, wenn es Dich wirklich gibt, komm zu uns auf die Erde. Dann kannst Du Dir diesen Schlamassel mal selbst ansehen. Amen.“ Diese Sätze beschreiben für mich den Kern der Weihnachtsbotschaft: Gott kommt mitten in unseren Alltag und all unser Chaos – so wie es das Gebet des Mädchens beschreibt. Das Weihnachtsfest erinnert mich daran, dass Hoffnung und Menschlichkeit gerade dort wachsen, wo Gott unsere Sorgen und Fragen teilt und mit uns „durch den Schlamassel“ geht.

Viele Menschen suchen in diesen Zeiten nach Halt, nach Orientierung, manchmal auch einfach nach einem Wort des Trostes. Was sagen Sie jemandem, der mit Blick auf das Weltgeschehen nur noch Angst verspürt und vielleicht auch an seinem Glauben zweifelt?

Pfarrer Hubertus Spill: Was ich jemandem sage, der nur noch Angst spürt? Vielleicht einfach: Du bist nicht allein. Und du musst deinen Glauben nicht perfekt fühlen, um gehalten zu sein. Jesus hat nie gesagt: „Fürchte dich nicht – und wenn du’s doch tust, hast du versagt.“ Er hat gesagt: „Fürchte dich nicht – ich bin bei dir.“ Das ist ein Unterschied. Der Zweifel gehört zum Glauben wie das Atemholen zum Leben.

Herr Pfarrer Spill, viele Kirchengemeinden fragen sich, wie es gelingen kann, junge Menschen heute noch für Glauben, Kirche und Gemeinschaft zu begeistern. Welche Erfahrungen haben Sie in Ihrer Gemeinde damit gemacht und was braucht es Ihrer Meinung nach, damit Kirche für die jüngere Generation wieder ein Ort wird, an dem sie Sinn, Begegnung und vielleicht auch ein Stück Heimat finden kann?

Pfarrer Hubertus Spill: Ich glaube, dass junge Menschen gar nicht so „kirchenfern“ sind, wie oft gesagt wird. Sie sind nur allergisch gegen Langeweile und leere Worte – übrigens zu Recht. Wenn Kirche mutig, kreativ und offen ist – in Musik, Sprache, Themen – dann sind junge Menschen da. Und wenn wir ihnen nicht nur einen Platz, sondern auch eine Stimme geben, dann wird Kirche wieder ihr Raum.