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Pflegeeinsatz auf dem Kerstlingeröder Feld

Artenvielfalt direkt vor der Stadtgrenze Göttingens: Ein Baumpieper im Kerstlingröder Feld, eine von 108 dort belegten Vogelarten. Foto Adobe Stock
Artenvielfalt direkt vor der Stadtgrenze Göttingens: Ein Baumpieper im Kerstlingröder Feld, eine von 108 dort belegten Vogelarten. Foto Adobe Stock

Göttingen – Gemeinsam für den Erhalt eines einzigartigen Lebensraums. Die BSG, der BUND und RüRig laden auch in diesem Jahr zum großen Pflegeeinsatz auf dem Kerstlingeröder Feld ein. Die Aktion ist ein wichtiger Beitrag zum Erhalt einer der artenreichsten Kulturlandschaften Südniedersachsens. Alle Naturfreunde, Unterstützer und Interessierte sind herzlich eingeladen, sich aktiv zu beteiligen.

  • Wann? Samstag, 25. Oktober 2025 | Beginn: 9:30 Uhr  
  • Wo? Schranke Kehr / Wildtiergehege Göttingen

Das Kerstlingeröder Feld ist ein ökologisches Juwel am Rande Göttingens. Ohne Kunstdünger und Pestizide und durch jahrzehntelange extensive Nutzung konnten sich hier besonders wertvolle Lebensräume wie „Kalkmagerrasen“ und „magere Flachlandmähwiesen“ entwickeln. Diese Biotope gehören zu den artenreichsten Lebensräumen Mitteleuropas – und zu den am stärksten gefährdeten. „Das Kerstlingeröder Feld ist ein Hotspot der Biodiversität direkt vor unserer Haustür. Mit dem Pflegeeinsatz setzen wir ein Zeichen für den Erhalt dieser einzigartigen Lebensräume“, sagt „Dr. Martina Hensel“, Sprecherin der BUND-Kreisgruppe Göttingen. Neben der praktischen Arbeit steht auch das Gemeinschaftserlebnis im Vordergrund: Zur Stärkung wird ein gemeinsames zweites Frühstück angeboten. Teilnehmende werden gebeten, wetterfeste Kleidung, feste Schuhe und – falls vorhanden – Gartenhandschuhe mitzubringen.

Artenvielfalt auf dem Kerstlingeröder Feld

Das Kerstlingeröder Feld beherbergt eine außergewöhnlich hohe Artenvielfalt und zählt zu den ökologisch wertvollsten Flächen im Raum Göttingen. Über „250 Pflanzenarten“ sind hier dokumentiert, darunter seltene und geschützte Arten wie die „Bienen-Ragwurz“, das „Große Zweiblatt“ und die „Kugelblume“. Diese Orchideen gedeihen auf den nährstoffarmen Böden der Kalkmagerrasen, die durch extensive Pflege erhalten werden. Auch die Insektenwelt profitiert von den offenen, blütenreichen Wiesen: Mehr als „40 Tagfalterarten“ wurden nachgewiesen, darunter der auffällige „Himmelblaue Bläuling“, der majestätische „Schwalbenschwanz“ sowie zahlreiche Heuschreckenarten, die auf warme, strukturreiche Lebensräume angewiesen sind. Die Vogelwelt ist ebenso vielfältig. Das Gebiet bietet Brut- und Lebensraum für Arten wie den „Neuntöter“, die „Heidelerche“, den „Baumpieper“ und den „Wiesenpieper“ – allesamt typische Vertreter extensiv genutzter Offenlandschaften. Ingesamt wurden 108 verschiedene Vogelarten dokumentiert. Auch „Reptilien und Amphibien“ finden hier geeignete Bedingungen: Die „Zauneidechse“, die „Blindschleiche“ und die seltene „Gelbbauchunke“ sind auf die mosaikartige Struktur aus Wiesen, Gehölzen und feuchten Senken angewiesen. Teile des Kerstlingeröder Feldes sind als „FFH-Gebiet (Flora-Fauna-Habitat)“ und als „Landschaftsschutzgebiet“ ausgewiesen. Diese Schutzkategorien unterstreichen die besondere Bedeutung des Areals für den regionalen und überregionalen Naturschutz.

Das Kerstlingeröder Feld – vom mittelalterlichen Gutshof zum Naturraum

Die Geschichte des Kerstlingeröder Feldes reicht bis ins frühe 15. Jahrhundert zurück. Im Jahr 1410 ließ Johann II. von Nassau, Bischof von Mainz, eine Kapelle errichten. Bereits 1416 ist anstelle des ursprünglichen Dorfes ein Gutshof der Herren von Kerstlingerode dokumentiert. Zwei Jahre später übernahmen die Kalandsbrüder die Bewirtschaftung des Feldes – eine religiöse Bruderschaft, die sich karitativen Aufgaben widmete und in der Region aktiv war.

Während des Dreißigjährigen Krieges (1618–1648) wurden die Gebäude auf dem Kerstlingeröder Feld weitgehend zerstört. Dennoch wurde der Gutshof von wechselnden Besitzern immer wieder aufgebaut. Das letzte Gutshaus, dessen Ruinen heute noch sichtbar sind, trug die Jahreszahl 1753 und gehörte bis 1928 der Familie von Wangenheim aus Waake.

Im Jahr 1928 wurde ein Teil der Flächen an die Reichsheeresverwaltung als Übungsgelände abgegeben. In der Zeit des Nationalsozialismus musste die Familie unter politischem Druck auch die restlichen Flächen abgeben. Nach dem Zweiten Weltkrieg nutzte die Britische Rheinarmee das Gelände von 1945 bis 1956 für Manöver. Anschließend übernahm die Bundeswehr den Platz. Bis 1961 wurde der Gutshof weiterhin landwirtschaftlich genutzt und bewohnt. Mit der Intensivierung des militärischen Übungsbetriebs wurde der Hof jedoch vollständig zerstört.

Laut dem Heimatforscher Heinrich Lücke trugen vor allem habgierige Deutsche durch das gewissenlose Ausschlachten der Gebäude zum endgültigen Untergang des Gutshofes bei. Ein besonderes Relikt dieser Zeit ist die Stundenglocke mit der Jahreszahl 1823, die laut einem Bericht der Kreisheimatpflege 1963 in einem kleinen Teich neben den ehemaligen Gutsgebäuden gefunden wurde. Ihr Verbleib ist bis heute ungeklärt. Ein Kupferstich aus dem Jahr 1820 zeigt das Gutshaus noch ohne den später hinzugefügten kleinen Uhrenturm. 1985 wurde das Gelände durch Rodung um etwa 64 Hektar erweitert, was zu Protesten in der Bevölkerung führte. Bis 1992 diente das Gebiet als Manöverfläche für die Zieten-Kaserne im Göttinger Ortsteil Geismar, die bereits in den 1930er Jahren am Lohberg errichtet worden war. Nach dem Abzug der Bundeswehr ging das Kerstlingeröder Feld wieder in den Besitz der Stadt Göttingen über. Seitdem unterliegt das Gebiet der natürlichen Sukzession, also der allmählichen Rückeroberung durch die Natur. Diese Entwicklung wird heute durch gezielte Pflegemaßnahmen des Stadtforstamtes begleitet. Am südwestlichen Waldrand des Areals zeugt die Ruine einer ehemaligen Panzerwaschanlage noch von der militärischen Vergangenheit des Geländes.