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Inklusion an Schulen: Zwischen Anspruch und Wirklichkeit

Inklusion von Menschen mit Behinderungen nicht länger als Pflichtaufgabe und Kostenfaktor begreifen. Foto: Pixabay
Inklusion von Menschen mit Behinderungen nicht länger als Pflichtaufgabe und Kostenfaktor begreifen. Foto: Pixabay

„Die Ergebnisse der Forsa-Umfrage unter Lehrkräften, wonach es nicht gut um die Inklusion an Schulen bestellt ist, können kaum überraschen“, sagt Erik Kleinfeldt, Pädagoge und Sprecher der Selbsthilfe Körperbehinderter Göttingen. „Seit Jahren beobachten wir, dass die Umsetzung der Inklusion in der Praxis an strukturellen Mängeln, fehlender Fachlichkeit und unzureichender Ausstattung scheitert. Die Betroffenen – Kinder, Eltern und Lehrkräfte – bleiben mit den Herausforderungen oft allein.“

Tatsächlich ist die schulische Inklusion in Deutschland ein Beispiel dafür, wie ein ursprünglich kluger und humanistischer Gedanke durch kurzsichtiges Verwaltungshandeln ausgehöhlt werden kann – mitunter sogar mit gegenteiliger Wirkung.

Seit der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) im Jahr 2009 ist die gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Behinderungen ein verbrieftes Menschenrecht. Im Bildungsbereich bedeutete das: Förderschulen sollten weitgehend abgeschafft, Kinder mit Förderbedarf in Regelschulen integriert werden. Doch statt nachhaltiger Konzepte folgte vielerorts symbolpolitischer Aktionismus.

Überforderung statt Unterstützung

Die Regelschulen wurden auf diese tiefgreifende Veränderung kaum vorbereitet. Sonderpädagogische Fachkräfte, deren Expertise allen Schüler:innen zugutekommen könnte, wurden nicht in ausreichendem Maße eingestellt. Stattdessen setzte man auf sogenannte Schulassistenzen – meist Laienkräfte, die einzelnen Kindern zur Seite gestellt wurden. Diese Hilfen waren oft nicht nur unzureichend, sondern führten auch zu zusätzlicher Stigmatisierung.

Die Folgen sind gravierend: Lehrkräfte fühlen sich überfordert, Kinder mit Förderbedarf erleben Ausgrenzung, und Eltern stoßen bei der Schulwahl auf bauliche, personelle und strukturelle Hürden. In einem System, das eigentlich Teilhabe ermöglichen soll, wird Behinderung wieder zum individuellen Problem – entgegen dem Geist der UN-BRK, die gerade gesellschaftliche Verantwortung betont.

Göttinger Sonderfall: „Pooling“ als Rückschritt

Im Raum Göttingen verschärft sich die Situation durch das sogenannte „Pooling“ von Schulassistenzen. Dabei wird die Koordination der Hilfskräfte an jeder Schule exklusiv einem Leistungserbringer übertragen. Das Wunsch- und Wahlrecht der betroffenen Familien wird dadurch massiv eingeschränkt. Kinder, die auf eine konstante Bezugsperson angewiesen sind, verlieren diese Kontinuität – mit potenziell gravierenden Folgen für ihre Entwicklung.

„In den kommenden Jahren werden viele betroffene Familien leidvoll erfahren, was es bedeutet, wenn Kinder in einem System lernen müssen, das sie nicht mit offenen Armen empfängt“, warnt Kleinfeldt.

Ein Appell für echte Teilhabe

Die Selbsthilfe Körperbehinderter Göttingen fordert daher ein grundsätzliches Umdenken: Inklusion darf nicht länger als Pflichtaufgabe oder Kostenfaktor betrachtet werden. Es braucht eine Haltung, die Betroffene auf Augenhöhe einbindet, sowie individuelle, bedarfsgerechte Lösungen. Dazu gehören qualifiziertes Personal, geeignete Hilfsmittel und ausreichende finanzielle Mittel.

„Dass das Geld kostet, ist offensichtlich“, so Kleinfeldt. „Aber es ist eine Investition in die Zukunft. Ein inklusives Bildungssystem kann der Gesellschaft viele selbstbewusste, gut qualifizierte Fachkräfte mit Behinderungen zurückgeben.“