Wenn vom 27. September bis zum 5. Oktober im Jawaharlal Nehru Stadion die 12. Weltmeisterschaft der Para-Leichtathletik stattfindet, ist Ottobock als offizieller technischer Servicepartner vor Ort. Über 1.000 AthletInnen aus aller Welt werden in 186 Medaillenwettbewerben antreten – damit sind die IndianOil New Delhi 2025 World Para Athletics Championships das größte Para-Sportereignis, das jemals in Indien stattgefunden hat.
Für die Para-AthletInnen ist dabei die einwandfreie Funktion ihrer technischen Hilfsmittel, wie Prothesen, Orthesen oder Rollstühle, entscheidend, um im Wettkampf antreten zu können. Deshalb stellt Ottobock ein 58-köpfiges Team vor Ort, darunter rund 20 TechnikerInnen, die den AthletInnen kostenlosen Support anbieten. Ob lockere Schrauben, defekte Gurte oder der Austausch einzelner Teile: Rollstuhl-, Prothesen- und OrthesenspezialistInnen sorgen dafür, dass die AthletInnen jederzeit auf ihre Hilfsmittel vertrauen können.
Ottobock Rollstuhl-Erlebniswelt
Neben dem technischen Service bietet Ottobock in Neu-Delhi auch eine Wheelchair Experience World. Hier lädt das Unternehmen BesucherInnen ein, in die Welt des Rollstuhlsports einzutauchen und Rollstuhlbasketball, Rollstuhltischtennis oder einen Rollstuhlparcours selbst auszuprobieren. Mit dem Angebot will Ottobock Hemmschwellen abbauen und zeigen, wie der Rollstuhl Mobilität bringt und gleichzeitig auf die Bedeutung barrierefreier Infrastruktur aufmerksam machen.
Para-Sport in Indien im Aufwind
Wie sich Para-Sport in Indien entwickelt und welche Rolle die Weltmeisterschaften in Neu-Delhi dabei spielen, darüber sprachen wir mit Santosh Rout, Principal Marketing Manager Prosthetics bei Ottobock India, und Heinrich Popow, Director Performance Solutions bei Ottobock und ehemaliger Para-Leichtathlet sowie mehrfacher Paralympics-Medaillengewinner.
Worauf freut ihr euch mit Blick auf die Weltmeisterschaft am meisten?
Santosh: „Ich freue mich besonders darauf, die AthletInnen in Aktion zu sehen. In unseren Versorgungszentren geht es am Anfang immer erstmal darum, Menschen überhaupt die Möglichkeit zu geben, wieder gehen und ein unabhängiges Leben führen zu können. Sport steht dabei ganz oben auf dieser Pyramide – und Rennen ist sozusagen die Spitze. Es ist die anspruchsvollste und zugleich beeindruckendste Form von Mobilität.“
Heinrich: „Für mich ist diese Weltmeisterschaft etwas Besonderes, weil ich in Indien 2009 meinen ersten WM-Titel gewonnen habe – ein prägender Moment meiner Karriere. Es fühlt sich manchmal an, als wäre es gestern gewesen, deshalb freue ich mich zurückzukommen. Gleichzeitig werden in Neu-Delhi die Karten neu gemischt: Mit Hitze und hoher Luftfeuchtigkeit herrschen Bedingungen, die vieles verändern können. Ich bin gespannt, welche Athleten damit am besten zurechtkommen und dadurch vielleicht ganz neue Chancen haben. Und natürlich freue ich mich auch auf die Menschen in Indien.“
Heinrich Popow, Director Performance Solutions bei Ottobock. Foto: Ottobock
Die Weltmeisterschaften werden das größte Para-Sportereignis sein, das jemals in Indien stattgefunden hat. Welche Auswirkungen könnte dies auf den Para-Sport in diesem Land haben?
Santosh: „2025 ist ein echtes Jahr des Para-Sports in Indien – mit dem ersten Para-Leichtathletik Grand Prix, unserer Running Clinic und nun den Para-Leichtathletik-Weltmeisterschaften. Damit steht der Para-Sport hier so sehr im Fokus wie noch nie. Besonders spannend ist die Entwicklung im Vergleich: Während Indiens Erfolge bei Olympischen Spielen eher begrenzt waren, hat sich das Land bei den Paralympics enorm gesteigert – von einer Medaille 2012 auf 29 im Jahr 2024. Diese Leistungen haben große Aufmerksamkeit erzeugt und Para-Athleten zu Helden gemacht. Für Indien ist das eine sehr besondere Entwicklung.“
Indien ist ein Land mit großer kultureller Vielfalt. Wie werden Menschen mit Behinderungen derzeit in der Gesellschaft wahrgenommen?
Santosh: „Indien ist mit 1,4 Milliarden Einwohnern ein riesiges und vielfältiges Land, daher lässt sich das nicht pauschalisieren. Was sich aber sagen lässt, ist, dass Sport die Menschen zusammenbringt, und durch den wachsenden Para-Sport in den letzten Jahren ist die Wahrnehmung von Menschen mit Behinderungen positiver und präsenter in der Gesellschaft.“
Heinrich, du bist Initiator und Trainer der Running Clinics. Im Frühjahr fand eine davon in Indien statt. Kannst du kurz erklären, was genau eine Running Clinic ist?
Heinrich: Die Running Clinics sind Trainingswochenenden für Menschen mit Beinamputationen oder -dysmelien, bei denen sie den Umgang mit Sportprothesen erlernen oder verbessern können. Ziel ist es, Selbstvertrauen, Freude an Bewegung und sportliche Fähigkeiten zu fördern. Diese Wochenenden finden weltweit statt.
2015 fand schon einmal eine Running Clinic in Indien statt. Habt ihr bei der diesjährigen Veranstaltung Unterschiede oder Entwicklungen im Vergleich zu damals festgestellt?
Santosh: „Die diesjährige Running Clinic hatte andere Ziele als 2015. Damals ging es vor allem darum, die Teilnehmer für Bewegung zu begeistern und zu einem aktiven Leben zu motivieren. 2025 lag der Fokus stärker auf Leistungssport. Gemeinsam mit Partnern wie dem Paralympischen Komitee Indiens konnten wir ein fortgeschrittenes Niveau anbieten. Heinrich ist ein großartiger Motivator, von dem die Teilnehmer viel lernen können, und er schafft es, auf jeden einzelnen einzugehen.“
Heinrich: „Damals kannten viele Teilnehmer die Running Clinic und Sportprothesen noch nicht, es gab noch viel Unsicherheit und man musste alles erst erklären. Dieses Jahr war die Stimmung komplett anders: Die Teilnehmer waren Feuer und Flamme. Man merkt deutlich, dass sich auf hier in Indien einiges verändert hat. Aus der Erfahrung der Vergangenheit und der Arbeit in der Gegenwart entsteht etwas Neues – und es ist spannend zu sehen, dass wir Teil dieses Prozesses sein können.“
Wie sieht die Versorgungssituation in Indien aus? Wie erhalten Menschen eine Sportprothese oder andere technische Hilfsmittel für den Sport?
Santosh: „Indien ist nach wie vor ein Selbstzahlermarkt, doch Wirtschaftswachstum und verbesserte Versicherungsstrukturen könnten künftig den Zugang zu Sportprothesen erleichtern. Die Alltagsversorgung hat dabei oberste Priorität: Für die meisten Menschen geht es zuerst darum, wieder aktiv am Leben teilzunehmen, arbeiten zu können und ihre Familien zu versorgen. Erst wenn diese Basis gesichert ist, rückt der Fokus auf Sport. Wir arbeiten daran, Wege zu schaffen, damit mehr Menschen die Möglichkeit bekommen, aktiv Sport zu treiben.“
Heinrich: „Man merkt auf alle Fälle, dass im Vergleich zu anderen Ländern hier wirklich versucht wird, etwas zu ändern. Es wird weniger geredet und mehr gehandelt. Indien entwickelt sich in diesem Bereich rasant, und ich bin überzeugt, dass das Land viele überraschen wird, wie ernsthaft und engagiert hier Sportversorgung umgesetzt wird.“
Vor dem Hintergrund all dieser Entwicklungen – wie seht ihr die Gesamtentwicklung des Behindertensports in Indien?
Heinrich: „Der Para-Sport in Indien wird in den kommenden Jahren einen enorm positiven Sprung machen. Durch die große Bevölkerung haben sie eine solide Grundlage. Der Sport wird sich sowohl an der Spitze als auch in der Breite entwickeln – beides hängt zusammen: Ohne Breite keine Spitze, ohne Spitze keine Breite. In den nächsten fünf Jahren wird die Spitze stark wachsen, in den nächsten zehn Jahren auch die Breite. Auf dieser Grundlage wird der Para-Sport langfristig auch den Alltag von Menschen mit Behinderungen deutlich verbessern.“
Santosh: „Es kommt darauf an, die richtigen Schritte zu gehen, und wir versuchen, sehr sorgfältig vorzugehen. Vor einigen Jahren war die Lage vor Ort eher unorganisiert, und das Bewusstsein für Behindertensport noch gering. Heute sehen wir, dass sich der Sport sowohl an der Spitze als auch in der Breite entwickelt – genau wie Heinrich sagt, hängt beides zusammen. Deshalb schauen wir, wie wir gezielt unterstützen können: Wir haben zum Beispiel einen Vertrag mit dem Paralympischen Komitee Indiens unterzeichnet, um gemeinsam eine strategische Förderung aufzubauen, Infrastruktur zu schaffen und Talente zu unterstützen. Da wird noch viel passieren und wir freuen uns drauf.“