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Artikelfoto TransFair e.V. / Fotograf: Sean Hawkey

Da gilt es lieber an die Vernuft zu appelieren

Fairtrade-Stadt Witzenhausen mit „Fairem Einkaufsführer“

Ein Interwiev mit Valentina Binder

Mehr und mehr Einzelhändler, Gastronomen und Unterstützende aus den Bereichen Bildung, Soziales und Kirche nehmen inzwischen an der „Fairtrade-Stadt Witzenhausen“ teil. Ihnen allen sind Nachhaltigkeit und gerechte Arbeitsbedingungen in den Produzentenländern sehr wichtig. Ob Kleidung, Schmuck oder Kosmetik: Zu kaum einem Produkt gibt es inzwischen keine fair gehandelte Alternative.

Mit dem fairen Handel werden gerechte und auskömmliche Löhne für Kleinbauern und Kleinbäuerinnen sowie Kooperativen in Ländern des Globalen Südens sichergestellt. Auch werden Dinge, die für uns selbstverständlich sind – wie etwa Frauenrechte, Verzicht auf Kinderarbeit, betriebliche Mitbestimmung aber auch der Verzicht auf Pestizide – mit Hilfe des fairen Handels umgesetzt.

In dem neuen Fairtrade Stadtplan findet man nicht nur faire Einkaufsmöglichkeiten. Auch das Engagement von Witzenhäuser Initiativen, Unternehmen und Institutionen für den Fairen Handel werden sichtbar gemacht. Aktualisiert, neugestaltet und in einem neuen Format, erscheint Witzenhausens fairer Einkaufsführer „Witzenhausen geht fair" bereits in seiner dritten Auflage. Er gibt eine Übersicht, wo in Witzenhausen zertifiziert fair gehandelte Produkte zu bekommen sind und ist bei allen teilnehmenden Initiativen, Institutionen und Unternehmen erhältlich. Faire Produkte, z.B. Kaffee, Schokolade, Rosen oder Bananen stammen meist aus Herstellungsländern im globalen Süden (Afrika, Südund Mittelamerika, Asien). Dort sind die Menschenrechte und Arbeitsbedingungen oft nicht so gut wie in Deutschland.

meinWMK: Frau Binder, Witzenhausen ist seit 2013 offiziell als Fairtrade-Stadt ausgezeichnet. Wie ist Ihr persönliches Resümee nach 9 Jahren? Welche Entwicklungen hat die Stadt erlebt und welche Initiativen haben sich gebildet?

Valentina Binder: Es gibt in Witzenhausen viele Menschen und Initiativen, die sich für den fairen Handel starkmachen, z.B. den Weltladen mit dem Arbeitskreis Eine Welt e.V., das Tropengewächshaus, das akteursübergreifende Bildungsprojekt WeltGarten, die ev. Kirche, Eine-Welt-Schulen und die 1. Faire Kita Witzenhausen.

Initiiert wurde die Bewerbung zur Fairtrade Town vom Weltladen und der damaligen Bürgermeisterin Angela Fischer. Auch die Touristinformation Witzenhausen setzt sich stark für den fairen Handel in Witzenhausen ein. Vielfältige Veranstaltungen wie das Faire Frühstück während der Woche der Witzenhäuser auf dem Marktplatz, FAIRkostungen, Vortragsabende, Ausstellungen und von der Pro Witzenhausen GmbH geförderte Bildungsangebote für Schulen und Kindertagesstätten konnten sich im Rahmen der Fairtradetown entwickeln und etablieren. Seit 2018 gibt es die Koordinationsstelle zur kommunalen Entwicklungspolitik bei der Stadt Witzenhausen, die den Agenda2030-Prozess „Witzenhausen2030“ ins Leben gerufen hat und begleitet. Ziel ist es die 17 globalen Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen auf lokaler Ebene umzusetzen und damit direkt vor Ort einen Beitrag für eine friedlichere, ökologischere und fairere Welt zu leisten. Ein Fokus im Projekt liegt auf entwicklungspolitischen Projekten mit dem globalen Süden und dem Thema nachhaltiger und fairer Konsum. Über KEPOL wird nun schon das 2. große Projekt (Nach der Studie und dem Jugendaustausch zu Solarstraßenlampen nun das Corona Solidarpaket zur Unterstützung in der Corona-Pandemie) mit unsere Partnerstadt Kayunga in Uganda umgesetzt. Und auch die Umstellung auf eine nachhaltige und faire Beschaffung (Einkauf) der Stadtverwaltung kam mit der KEPOL-Stelle erst richtig ins Rollen. Die Mitgliedschaft als Fairtrade Town ist ein niedrigschwelliger Einstieg für eine Kommune diese Themen voranzubringen. Mit der KEPOL-Stelle konnten die Aktivitäten deutlich ausgebaut werden und noch viel mehr Wirkung erzeugt werden.

meinWMK: Wie oft müssen Nachweise erbracht werden, um den Titel „Fairtrade-Town“ zu behalten und wie stellen sie diese Kriterien sicher?

Valentina Binder: Alle zwei Jahre steht die Rezertifizierung als Fairtrade Town an. Das beinhaltet z.B., dass wir fairen Kaffee und Tee im Rathaus ausschenken. Durch die aktuelle Umstellung auf eine faire und Nachhaltige Beschaffung der Stadtverwaltung achten wir noch stärker darauf, dass bei Produkten, welche die Stadt einkauft, soziale und ökologische Kriterien eingehalten werden. Beispiele für sozial „sensible“ Produkte sind Arbeitskleidung oder Pflastersteine. Bei deren Produktion sollen grundlegende Arbeitsrechte und Menschenrechte eingehalten werden. Im letzten Sommer haben wir gemeinsam mit der Arbeitsgruppe nachhaltige Beschaffung, dazu einen Stadtverordnetenbeschluss zur nachhaltigen Beschaffung erwirkt. Zudem bieten wir verschiedene Veranstaltungen zum Fairen Handel über das Jahr an. Der Weltladen Witzenhausen und die Touristinformation sind da sehr wichtiger Partner. In der Steuerungsgruppe Fairtrade Town können sich Bürgerinnen und Bürger aber auch Vereine oder Initiativen gemeinsam für den Fairen Handel starkmachen. Wir planen dort gemeinsame Veranstaltungen und Aktionen – wie ganz aktuell die Neugestaltung des Fairtrade Stadtplanes.

Seit 2013 ist Witzenhausen offiziell als Fairtrade-Stadt ausgezeichnet. Alle die Lust haben sich mit Projekten und Ideen zu Fairtrade in Witzenhausen einzubringen, können sich in der akteursübergreifenden Steuerungsgruppe Fairtrade Town beteiligen. Dort werden gemeinsam Veranstaltungen, Aktionen und Projekte geplant, um das Thema Fairtrade noch präsenter zu machen. Kontakt: Steuerungsgruppe Fairtrade Town, Valentina Binder, valentina.binder@witzenhausen.de, Telefon: 05542-508-656

meinWMK: Die Arbeitsbedingungen in den Ländern des Globalen Südens sind oft katastrophal. Haben Sie einige Beispiele hierfür, von denen Sie gehört haben?

Valentina Binder:
Kakaoanbau: Der meiste Kakao wird in Westafrika angebaut. Auf den Kakaoplantagen in Westafrika arbeiten heute noch ca. 2 Mio. Kinder. Die meisten Bäuer*innen leben unterhalb des Existenzminimum und verdienen weniger pro Tag als hier bei uns eine Tafel Schokolade kostet. Da sollte man sich überlegen ob einem eine unter solch schlechten Bedingungen hergestellte Schokolade schmeckt. Da gilt es lieber an die FAIRnunft zu appelieren und eine Schokolade mit Fairtrade-Siegel zu wählen.

Fairer Handel: Fördert soziale Gerechtigkeit 
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Steht für partnerschaftliche und langfristige Handelsbeziehungen 
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Ermöglicht benachteiligten Produzentenfamilien in Afrika, Asien und Lateinamerika einen Marktzugang und damit verbesserte Arbeits- und Lebensbedingungen 
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Setzt sich für einen schonenden Umgang mit der Natur ein *
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Nimmt zu den wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen im internationalen Handel Stellung

Textilindustrie/Fußbälle: Viele kennen Bilder von übermüdeten Arbeiter*innen und schrecklichen Bedingungen in Textilfabriken in Asien. Bilder vom Einsturz der Textilfabrik Rana Plaza gingen um die Welt. Wenn ein T-Shirt nur 3€ kostet kann man sich ausrechnen wieviel Lohn die Arbeiter*innen wohl erhalten und dass an wichtigen Ausstattungen gespart wird. Ist es uns das wert? Viele handgefertigte Fußbälle stammt aus Pakistan. Näher*innen verdienen oft nur einen Bruchteil des gesetzlichen Mindestlohns. Familien verarmen und eine der Auswirkungen ist, dass auch Kinder mitarbeiten müssen, um das Einkommen der Familie zu verbessern. Mit dem Kauf von Textilien und Bällen mit dem Fairtrade-Siegel entscheidet man sich für Fairplay und gerechtere Arbeitsbedingungen.

Faire Rosen und Blumen: Blumen sind bei uns ein beliebtes Geschenk für verschiedenste Anlässe. Die deutsche Blumenproduktion kann aber die heimische Nachfrage nicht befriedigen, gut 80 Prozent der in Deutschland verkauften Schnittblumen müssen importiert werden. Der Anbau von Blumen und Pflanzen ist oft ein arbeitsintensives und gefährliches Geschäft. Auf den Blumen- und Pflanzenfarmen im globalen Süden werden die Arbeitsbedingungen von niedrigen Löhnen, schlechten Arbeitsbedingungen und hohem Einsatz von zum Teil hochgiftigen Pflanzenschutzmitteln bestimmt. Deshalb lieber eine echte Freude bereiten mit fairen Rosen.

Bananen: Auf den französischen Antillen wurde bis 1993 auf den konventionellen Bananenplantage hochgiftiges und krebserregendes Chlordecon ungeschützt aufgebracht. Das hat dazu geführt, dass z.B. auf der Insel Martinique der gesamte Boden der Inseln vergiftet wurde und das Wasser die Menschen bis heute krank macht. (Quelle: Arbeiter auf den französischen Antillen: Anerkennung von Pestizid-Opfern - taz.de) Der Faire Handel verbietet solche Gifte und stattet die Arbeitenden mit guter Schutzausrichtung aus. Darüber hinaus hilft der Faire Handel, dass Menschen eine Einkommenssteigerung erhalten und langfristige Handelsbeziehungen aufbauen können. Außerdem wird die Einhaltung von grundlegenden Arbeitsrechten, die ILO-Kernarbeitsnormen garantiert und Kinderarbeit verhindert.

meinWMK: Sehen Sie einen wachsenden Markt für fair gehandelte Produkte und wenn ja, worauf führen Sie das zurück?

Valentina Binder: Immer mehr Menschen machen sich Gedanken über die Herkunft und die Produktionsbedingungen von Produkten. Und immer mehr faire Produkte sind gleichzeitig auch biozertifiziert. Die Faire Produktpallette wird von Jahr zu Jahr größer. Es gibt sicher niemanden, der es toll findet, dass seine/ihre Schokoladentafel aus Kinderarbeit stammt oder das T-Shirt von völlig übermüdeten Arbeiter*innen genährt wurde. Man sieht aber auch, dass es schon noch eine Lücke zwischen Wissen und Handeln gibt. Man kennt Argumente wie „faire Produkte sind mir zu teuer“. Das stimmt nicht immer – denn unfaire Markenschokolade ist preislich vergleichbar. Der Umsatz fließt aber nicht in die Kasse der Bäuer*innen sondern an die der Schokoladenhersteller oder ins Marketing.

Bei sehr günstigen Produkten gilt, irgendjemand zahlt immer für den niedrigen Preis – Entweder die Menschen in den Herstellungsländern oder unsere Umwelt.