Das Phenomobile
Forschung mit Kindern für KinderInnovativ und weltweit einmalig: Forscher*innen der UMG und der Universität Göttingen entwickeln ein mobiles Untersuchungslabor für die Entschlüsselung der frühkindlichen Entwicklung.
Wie viel wissen wir über die frühe Kindheit? Soziale Fähigkeiten, erste Lautäußerungen und Bewegungen von Babys zu erfassen und den Beginn der Kommunikation zwischen Kind und Mutter zu analysieren, das ist ein sensibles Unterfangen. Dies ist nicht nur wissenschaftlich wichtig, sondern kann bald auch dabei helfen, Entwicklungsstörungen rechtzeitig zu erkennen, um frühzeitig Unterstützung anbieten zu können. Um dies zu erreichen, wollen Göttinger Wissenschaftler*innen den Müttern und ihren Kindern „nahe kommen“ – mit Hilfe eines neuartigen „Labors auf Rädern“, dem „Phenomobile“. Damit haben sie ein völlig neues und weltweit bislang einzigartiges Konzept in der Entwicklungs- und Interaktionsforschung entwickelt.
Das voll ausgestattete rollende Labor ist eine genaue Nachbildung des Entwicklungs-Labors in der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie der UMG, so dass im Phenomobile die gleichen Untersuchungen möglich sind. Neben sechs Kameras aus unterschiedlichen Blickwinkeln, Aufnahmegeräten und leistungsstarken Computern ist eine eigene Klima- und Heizungsanlage an Bord, um das ganze Jahr unabhängig von äußeren Gegebenheiten arbeiten zu können.
Konzipiert wurde das rollende Labor von Prof. Dr. Dr. Peter Marschik, Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie der Universitätsmedizin Göttingen (UMG). Gemeinsam mit Prof. Dr. Luise Poustka (UMG) und Prof. Dr. Florentin Wörgötter (Universität Göttingen) untersuchen er und sein Team die Entwicklung von gesunden Neugeborenen und Babys mit erhöhtem Risiko für Entwicklungsstörungen. „Wir wissen, dass es für Eltern mit mehreren kleinen Kindern sehr aufwendig sein kann, regelmäßige Untersuchungstermine wahrzunehmen, auch wenn sie gerne bei einer Studie mitmachen wollen. Wenn Eltern also nicht zu uns in die Klinik kommen können, dann fährt das Labor direkt vor die Haustür“, sagt Prof. Luise Poustka, Direktorin der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie- und Psychotherapie (KJP) der UMG. Ziel der langfristig angelegten Untersuchung ist es, ein genaueres Verständnis der typischen frühkindlichen Entwicklung zu erlangen. „Dies wird es uns in der Folge ermöglichen, Entwicklungsstörungen wie Autismus früher zu erkennen und Kinder und ihre Familien gezielt zu unterstützen“, so Prof. Marschik.
Mit der Unterstützung lokaler Firmen ist es gelungen, einen maßgeschneiderten Prototypen des fahrenden Labors für den mobilen Einsatz zu entwickeln. Das Phenomobile ist Teil eines Forschungsverbunds, an dem Wissenschaftler*innen der Universitätsmedizin und der Universität Göttingen, des Bernstein-Zentrums für Computational Neuroscience, des Leibniz WissenschaftsCampus „Primatenkognition“ und des Sonderforschungsbereichs „Cognition of Interaction“ (SFB 1528) beteiligt sind. „Zwar gibt es ähnliche mobile Konzepte, z.B. in der Patient*innenbetreuung. Das rollende Labor zur Untersuchung von Kleinkindern ist aber eine einzigartige Innovation“, so Luise Poustka. Peter Marschik sagt: „Nur wenn wir die Babys in sehr engen Zeitabständen ab Geburt untersuchen, können wir die ganz frühe Entwicklung besser verstehen und Entwicklungsbesonderheiten erkennen. Das Phenomobile ist ein wichtiger Beitrag, auch weil wir ab jetzt viel mehr Familien erreichen können.“
„Mit Hilfe künstlicher Intelligenz können wir im Phenomobile neue methodische Ansätze in die Entwicklungswissenschaften einbringen“, sagt Prof. Florentin Wörgötter vom III. Physikalischen Institut der Universität Göttingen, der die technische Entwicklung des Phenomobiles begleitet hat. „Damit ist dieses Projekt und die Zusammenarbeit der beteiligten Einrichtungen beispielhaft für die gelebte interdisziplinäre Kooperation am Göttingen Campus.“ Das ‚rollende Labor‘ wird in mehreren Forschungsvorhaben in Göttingen und in der Region eingesetzt und profitiert von der langjährigen Unterstützung durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), die VolkswagenStiftung, die Leibniz-Gemeinschaft und das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF). „Das Konzept ist ein Zukunftsmodell, das auch für weitere Vorhaben beispielhaft sein kann“, sagen die beteiligten Forscher*innen.
WEITERE INFORMATIONEN:
Universitätsmedizin Göttingen
Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie
Von Siebold-Straße 5, 37075 Göttingen
Prof. Dr. Dr. Peter Marschik und Prof. Dr. Luise Poustka
Telefon 0551 / 39-65723
peter.marschik(at)med.uni-goettingen.de; luise.poustka(at)med.uni-goettingen.de
Georg-August-Universität Göttingen
III. Physikalisches Institut – Biophysik
Friedrich-Hund-Platz 1, 37077 Göttingen
Prof. Dr. Florentin Wörgötter
Telefon 0551 / 39-26922
florentin.woergoetter(at)phys.uni-goettingen.de