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Demenz frühzeitig erkennen und behandeln

Situation Betroffener und Angehöriger verbessern

Die Alzheimer Gesellschaft Niedersachsen e. V. lud unter Federführung der Koordinatorin des Projektes “DemenzAktiv in der Region“, Sabine Koch, zu einem gemeinsamen Treffen nach Hann. Münden ein. Ziel sei es gewesen, Strukturen zu schaffen, Netzwerke zu knüpfen und Synergien zu nutzen, um Demenzerkrankten und ihren Angehörigen ein funktionierendes, regionales Angebot zu unterbreiten.

„Mit unserem Projekt „DemenzAktiv in der Region“ wollen wir Menschen, die mit Demenz leben, und ihre Angehörigen in allen Regionen Niedersachsens erreichen. Durch den Ausbau von Netzwerken, den Aufbau neuer Initiativen, Gruppen und Alzheimer Gesellschaften sowie die Initiierung von Projekten möchten wir dazu beitragen, Lebenssituation von Betroffenen im Alltag zu verbessern, das Verständnis in der Gesellschaft für die Erkrankung zu fördern, eine weiterhin aktive Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben zu ermöglichen und Entlastung und Momente der Freude schaffen.“ (Alzheimer Gesellschaft Niedersachsen e.V.)

Nicht alles ist Alzheimer: Seltene Demenzformen im Blick haben

Für viele Menschen ist Demenz gleichbedeutend mit Alzheimer. Die Alzheimer-Krankheit ist zwar die am häufigsten vorkommende Form der Demenz. Doch es gibt auch viele seltenere Demenzformen, die oft nicht mit Symptomen wie Vergesslichkeit und Orientierungsstörungen beginnen. Davon Betroffene haben stattdessen am Anfang der Erkrankung meist Schwierigkeiten, sich in ihrem Alltag zurechtzufinden. Darauf macht die Deutsche Alzheimer Gesellschaft aufmerksam. Zu den seltenen Demenzformen zählt etwa die Frontotemporale Demenz (FTD), an der schätzungsweise drei bis neun Prozent der Menschen mit Demenz erkranken. Symptome dafür sind etwa Veränderungen der Persönlichkeit, des Sozialverhaltens und der sprachlichen Fähigkeiten.

Betroffene ändern ihr Verhalten auf scheinbar unerklärliche Weise und zeigen mitunter zum Beispiel kein Interesse mehr an ihren Liebsten. Zu wissen, dass der Grund für die Persönlichkeitsveränderung nicht ein Burn-out, Depressionen oder sogar Beziehungskonflikte sind, sei sowohl für die Betroffenen als auch für deren Familien wichtig.

 

Im Gespräch mit Herrn Martin Gorn, Leiter der AWO Tagespflege gGmbH Hann. Münden

Sehr geehrter Herr Gorn, Sie arbeiten seit 21 Jahren in der Betreuung von Demenz-Erkrankten. Erklären Sie kurz, welche Symptome oder Auffälligkeiten auf eine Erkrankung hinweisen können?

Das ist eine gute Frage! Das Wesen der Demenz liegt im Prozess. Und der ist doch sehr speziell: Tatsächlich zeigen Betroffene mit gleicher Diagnose völlig unterschiedliche Verlaufsformen und Einschränkungen. Eine Gemeinsamkeit ist die Angst.

Stellen Sie sich bitte vor, es käme der Augenblick, an dem Sie sich diese Krankheit selbst eingestehen und bewusst werden müssten. Dass Sie selbst sich in einem immer weiter fortschreitenden Prozess des Verlustes ihrer kognitiven und mentalen Fähigkeiten befinden. Das führt verständlicherweise zu Verdrängung, Verleugnung und Angst. Diese Angst werden Sie bemerken. Oder besser gesagt, das angstbedingte, veränderte Verhalten des Betroffenen. Angst kann zu Aggression führen. Angst kann zu Rückzug führen. Sehr oft bemerken wir auch sogenanntes „Fassadenverhalten“. Die betroffene Person verwendet dabei ihre ganze Kraft, ihrer Umwelt eine Scheinfassade der angeblichen Normalität zu präsentieren, die so gar nicht zu der Realität passt. Wahrscheinlich bemerken nicht wenige Angehörige an dieser Stelle, dass etwas nicht stimmt und können den Widerspruch und die Unstimmigkeit ihrer Beobachtung aber noch gar nicht richtig zuordnen. Jetzt ist Sensibilität gefragt. Vergessen Sie bitte nicht, dass Angst der Auslöser ist.

Was ist der Unterschied zwischen Alzheimer und Demenz?

Wir als Pflegende leben in einer etwas anderen Welt als Mediziner: Es gibt für uns in der Praxis, bzw. im alltäglichen Umgang kaum feste Grenzen und auch nur wenige starre Zuordnungen. Bitte missverstehen Sie mich nicht. Damit möchte ich nicht die Fachärzte, die durchaus aussagefähige Ergebnisse und letztendlich Diagnosen liefern, kritisieren. Uns liegt nur weniger an einer theoretisch-akademischen Diskussion, sondern mehr an einer zielführenden, guten Pflege, die die Bedürfnisse des Betroffenen möglichst völlig individuell und maßgeschneidert trifft. In der Praxis kann jemand durchaus gleichzeitig fortgeschritten an Parkinson, Durchblutungs-und Stoffwechselstörungen leiden. Sie können sozusagen im übertragenen Sinn „Flöhe und Läuse“ haben. Das Stichwort wäre Multimorbidität. Handlungsleitend ist – für uns – als Maßstab der individuelle Hilfsbedarf. Eine Diagnose kann dabei nur ein erster Schritt sein. Ein zweiter wäre Biographie-Arbeit, die Kooperation mit Angehörigen, usw… kurzum: Das Erstellen einer absolut personenbezogenen, umfassenden pflegefachlichen Einschätzung, um den entsprechenden Menschen möglichst gut kennen zu lernen.

Was raten Sie Patienten und Angehörigen, wenn die Diagnose „Demenz“ feststeht?

Das kommt völlig auf den Kontext an. Wenn ich vorhin von Demenz als Prozess sprach, so denken wir zwar in den allermeisten Fällen an das damit einhergehende Fortschreiten der Krankheit, ähnlich wie den Abstieg auf einer abwärtsführenden Treppe, aber es vermag Ihnen andererseits wirklich niemand, verlässliche Prognosen zu der Verweildauer auf den jeweiligen Stufen zu geben.

Wir erleben wirklich sehr oft, dass Menschen mit Demenz über viele Jahre auf einem gewissen Niveau stabil sind und keine Verschlechterung zeigen. Die Diagnose Demenz ist eine große Herausforderung für alle Beteiligten. Und sie ist im Verlauf äußerst schwer abzuschätzen. Mein Rat an alle Beteiligten wäre, wirklich jedes mögliche Hilfsangebot auf diesem Weg wahrzunehmen. Und damit kommt es auf das spezielle Setting des Betroffenen an. Wo und wie ist Unterstützung sinnvoll? Kommunale Pflegestützpunkte können eine ziemlich gute Anlaufstelle sein, um von konkreten Angeboten vor Ort zu erfahren (Selbsthilfegruppen, Finanzierungsmöglichkeiten, Beratungen, etc.)

Welche Probleme treten, nach Ihrer Erfahrung, mit dem Fortschritt der Krankheit am häufigsten auf?

Angehörige beschreiben Demenz oft als „Abschied auf Raten“. Das ist hart. Aber es beschreibt die Herausforderung, auf die wir als „wissensorientierte“ Gesellschaft nur sehr schwer passende Antworten finden.

Die häufigsten Probleme erlebe ich auf dem Gebiet Überforderung seitens Angehöriger. Sehr oft sind private Pflegesituationen suboptimal aufgestellt. Viele pflegende Angehörige wissen nicht um Entlastungsleistungen oder beispielsweise von Finanzierungsmöglichkeiten baulicher Maßnahmen seitens der Pflegekasse. Es lohnt sich wirklich, frühzeitig Fachleute mit ins Boot zu holen. Keiner verfügt über unendliche Ressourcen. Hilflosigkeit und Überforderung können zudem zu Gewalt führen. Die Liste an denkbaren Problemen ist leider sehr lang.

Gibt es Therapie- oder Heilungsansätze?

Im Sinne von Tabletten gegen Demenz? Bestimmte Stoffwechselstörungen, bzw. Mangelerscheinungen, deren Auswirkungen an Demenz erinnern, sind medikamentös behandelbar. Ebengleiches mag im weitesten Sinne für Durchblutungsproblematiken im Vorfeld gelten. Den großen (medikamentösen) Rest sehe ich eher symptomorientiert. Aber ich bin auch nur Pfleger. Die Pflegelandschaft bietet hingegen verschiedenste Therapieansätze. Im Kern erkennen Sie gute und hochwertige Angebote an einem Verbund verschiedenster interdisziplinär, fachübergreifend wirkender Akteure.

Je nach Krankheitsphase sind unterschiedliche Versorgungsangebote sinnvoll. So lange es möglich ist, möchten verständlicherweise viele Betroffene an ihrer Normalität festhalten und zuhause wohnen. Hier bieten wir Tagespflegen ein vernünftiges Konzept, um pflegende Angehörige zu entlasten und eine optimale Versorgung der Betroffenen zu garantieren.

Wie können Sie speziell in Ihrer Einrichtung Betroffene unterstützen und begleiten?

Viele Betroffene kämpfen gegen die Einsamkeit. Gerade jetzt, nach zwei Jahren Pandemie, sind viele zufällige Begegnungen immer noch nur erheblich eingeschränkt möglich. Nachbarschaftliche Treffen sind oft gänzlich eingeschlafen. Wir möchten Betroffenen wieder die Möglichkeit bieten, Gemeinschaft zu erleben. Zusammen zu sitzen, zusammen zu reden, zu singen, zu werkeln und zusammen zu essen. Wir bieten professionelle Pflege und Betreuung. Sowie den sonst, zuhause pflegenden Angehörigen, die Auszeit und Entlastung, die sie benötigen. Wir sind gerne für Sie da, wenn Sie uns brauchen.