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Artikelfoto Annika und Svenja Reinhardt tragen sich in das Goldene Buch der Stadt Göttingen ein. Foto: Bernard Marks

Ein Dorf als Goldschmiede

Rope Skipperinnen des TV Roringen holen bei der WM in den USA zwei Gold- und zwei Silbermedaillen.

Roringen – das Dorf mit knapp 1.000 Einwohnern kennen die meisten nur von der Durchreise, wenn sie als Pendler oder Ausflügler zwischen Göttingen und dem Eichsfeld oder Harz unterwegs sind und auf der B27 möglichst schnell den Roringer Berg hinter sich lassen. Hier organisieren sich die Menschen noch selbst, der Dorfladen wird von einem Verein getragen und auch das Roringer Berg Café schräg gegenüber der Friedhofskapelle wird in Eigenregie betrieben. Und die Roringer produzieren ihre eigenen Weltmeisterinnen! Zweimal Gold und zweimal Silber brachten die Rope Skipperinnen des TV Roringen von den Weltmeisterschaften im amerikanischen Colorado Springs mit nach Hause.

„If you can dream it, you can do it“, mit dieser Einstellung hatten sich die sieben Rope Skipperinnen auf den Weg zur WM gemacht und ihren Träumen ließen sie Taten folgen. Der TV Roringen stellt mit den Zwillingsschwestern Annika und Svenja Reinhardt (26), Enja Kubitschke (19), Aenne Bannasch (21) und Viviane Simon (26) im Double Dutch Triad und mit Annika und Svenja Reinhardt im Wheel Pair den diesjährigen Weltmeister und mit Svenja Reinhardt, Enja Kubitschke, Annika Reinhardt und Viviane Simon im Double Dutch Pair Freestyle den Vizeweltmeister. Bei der Jugend- WM sicherten sich Marlene Gracjar (14) und Marlene Bring- mann (14) ebenfalls den Vizeweltmeister-Titel. Wahnsinn!

Mutter des Erfolges ist Trainerin Astrid Reinhardt, die seit 19 Jahren die Roringer Talente fördert. Ihre Töchter hatten es zunächst mit Ballett, Voltigieren oder Basketball (da wurden sie 2011 Deutscher Meister) probiert, landeten dann beim Rope Skipping. Und damit begann ihre Erfolgsgeschichte, in der Zwischenzeit haben sie bei Welt- oder Europameister- schaften schon 16 Medaillen gesammelt.

Rope Skipping ist für Annika und Svenja mittlerweile mehr als Seilspringen, hier geht es um Leistungssport, um Koordination, Kraft, Ausdauer und Sprungtraining. Vor der WM ging‘s dann auch an den Wochenenden in die Trainings- halle, ein hartes Programm, zumal die Schwestern zur Zeit beide ihr Referendariat zum Lehramt an Gymnasien absol- vieren. „Wir trainieren seit Jahren zusammen und vertrauen uns blind“, nennen Annika und Svenja eines ihrer Erfolgsgeheimnisse. Dazu gehört natürlich auch eine gesunde Ernährung. „Einen Ernährungsplan gibt es bei uns nicht, aber es wird bei uns schon gesund gekocht“, so Mutter Astrid. Musik und Choreografie werden gemeinsam ausgesucht, da werden auf Spotify Listen angelegt von Klassik über Pop bis Hiphop, „Hauptsache, es hat einen guten Beat“, so Svenja. Zu den Stärken der Roringerinnen gehört auch die Improvisation, manchmal wird die Choreografie noch am Abend vor dem Wettkampf geändert, einzelne Elemente sogar während des Wettkampfs. „Wir sind Perfektionisten und wissen, dass wir uns aufeinander verlassen können“, sagt Annika. Die zwölf bis 16 Kampfrichter müssen dann Schwierigkeitsgrad, Präsentation, Musik, Pflichtelemente und vieles mehr bewerten und in eine APP eintippen. Eine kaum lösbare Aufgabe, sind doch die schnellen Bewegungen und die fliegenden Seile manchmal mit bloßen Auge kaum erkennbar.

Bei der WM in den USA ließen sich die Roringerinnen, die dort mit der Deutschen Nationalmannschaft (147 Athleten) starteten, auch nicht durch eine Pechsträhne aus der Ruhe bringen. Einmal wurde vom Veranstalter die falsche Musik eingespielt, einmal riss ein Seil. „Auch wenn die falsche Musik gespielt wird, musst du einfach weiterspringen“, erklärt die Trainerin. Zum Glück wurde dem Protest des deutschen Teams stattgegeben, sie durften noch einmal neu starten.

Am Ende der WM stand der größte Erfolg der Vereinsge- schichte. „Ich hoffe, dass unser Sport damit noch populärer wird und mit dem Klischee aufgeräumt wird, dass Rope Skipping nur etwas für Mädchen ist“, sagt Annika. Andere Länder wie die USA, Belgien oder Hongkong seien da schon weiter und starten auch mit Mixed-Teams. So holten die Roringerinnen auch eine der Goldmedaillen vor einem Mixed-Team der USA.
Ein Traum wäre für die Weltmeisterinnen natürlich auch, dass Rope Skipping eines Tages olympisch wird. Die Chancen stehen da gar nicht so schlecht, „zu 90 Prozent ist Rope Skipping 2028 in Los Angeles dabei“, so Astrid Reinhardt. Bis dahin ist es noch ein weiter Weg, zumal es auch keiner- lei finanzielle Förderung durch den Deutschen Sportbund gibt. „Wir müssen unsere Reisen komplett selbst finanzie- ren“, rechnet Svenja vor. Das waren für den USA-Trip stolze 24.000 Euro. Zum Glück gibt es wenigstens Unterstützung aus der Bevölkerung und von einigen Göttinger Firmen und Institutionen, durch die Ausrüstung und andere Aufwendungen finanziert werden können.

Zur Belohnung gab es nach der WM in den USA noch einen zehntägigen Urlaub mit zahlreichen Highlights und Abstechern nach Denver, Los Angeles oder San Diego. Astrid Reinhardt: „Sportlich ist das eine, aber was die jungen Men- schen auch neben der Wettkampffläche erleben durften, ist nicht nur in der Schublade „Erfahrung“ abzuheften. Andere Kulturen, andere Sprachen, andere Mentalitäten, gemeinsame Mahlzeiten, gemeinsame Ausflüge und vieles mehr durften sie erleben. Neben dem Wettkampf konnten sie einige Naturdenkmäler erkunden, das Olympische Museum besuchen, neue Freundschaften knüpfen und neue Orte kennenlernen. Es war eine Reise, die die Jugendlichen si- cherlich nie vergessen werden.“
Nun trainieren sie wieder Woche für Woche in ihrem 1.000-Seelen-Dorf oben auf dem Roringer Berg. Vielleicht lassen sich dort in Zukunft ja auch mal ein paar Auswärtige im Roringer Dorfladen oder Berg Café blicken, um sich ein Bild vom Dorf der Weltmeisterinnen zu machen.