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„Kontinuität strebe ich, bei allem Veränderungswillen, auch im Führungsstil an“

Im Gespräch mit dem neuen Landrat Marcel Riethig

Marcel Riethig (SPD) ist der neue Landrat des Landkreises Göttingen. Mit einem klaren Ergebnis von 63,5 Prozent setzte er sich in der Stichwahl gegen seine Mitbewerberin Marlies Dornieden (CDU) mit 36,5 Prozent durch. Wir trafen den 40-Jährigen kurz vor seinem Amtsantritt zum Interview.

Sehr geehrter Herr Riethig, herzlichen Glückwunsch zur gewonnen Landratswahl. Der Abend der Stichwahl war sicher auch für Sie spannend. Wie haben Sie den Abend erlebt?

Vielen Dank. Ich habe den Abend zuerst im kleinen Kreis erlebt. Als die Ergebnisse der ersten Wahlbezirke eintrudelten, war das natürlich toll. Dass mir so viele Menschen dieses wichtige Amt anvertrauen, macht mich aber auch demütig. Diese ersten Momente mit vertrauten Menschen zu erleben, war schon bewegend. Um so mehr konnte ich anschließend im SPD-Parteihaus den Abend einfach genießen und mich herzlich für die großartige Unterstützung vieler Helferinnen und Helfer bedanken.

Was haben Sie als erstes gedacht, als das offizielle Endergebnis feststand?

Ich war erleichtert und dankbar. Das war ein langer Weg. Mit den ersten Planungen für den Wahlkampf war mich bereits zu Beginn des vergangenen Jahres beschäftigt. Sehr schnell sind dann Menschen dazugekommen, die an mich geglaubt und mich unterstützt haben. Umso glücklicher war ich, als das Endergebnis feststand – als gemeinsamer Erfolg.

Wie haben Ihre Familie und Ihr Freundeskreis auf Ihren Wahlsieg reagiert?

Sie haben sich für mich gefreut, besonders meine Eltern, und sind sicher auch stolz auf mich. Aber keine Sorge, sie behandeln mich nicht anders als zuvor – zum Glück.

Wie haben Sie die letzten Monate des Wahlkampfes wahrgenommen? War es eine anstrengende Zeit?

Irgendjemand hatte mir im Vorfeld vorausgesagt, dass Wahlkampf ein Demutsprogramm sei. Das kann ich nur bestätigen. Aber mit Demut habe ich keine Probleme. Und deshalb habe ich diese Zeit auch als Bereicherung erlebt. Ich habe unseren Landkreis noch einmal aus einer ganz anderen Perspektive kennengelernt, viele Menschen getroffen, die mit ihren Ideen, Projekten, ihrem Mut und ihrer Tatkraft den Landkreis voranbringen. Ich habe mein Netzwerk noch einmal deutlich erweitert und bin gut vorbereitet auf die Aufgaben, die jetzt kommen.

In Kürze werden Sie ins Landratsamt einziehen: Freuen Sie sich auf den Tag und was werden Sie Ihren Mitarbeitern als erstes sagen?

Ja, ich freue mich auf den 1. November. Bis zum Jahreswechsel werde ich mein altes Büro im Kreishaus behalten; das hat zwar praktische Gründe, sorgt gefühlt aber auch für ein wenig Kontinuität. Kontinuität strebe ich, bei allem Veränderungswillen, auch im Führungsstil an. Mit allen Führungskräften der Kreisverwaltung – das sind mehr als 100 von der Teamleitung bis zur Fachbereichsleitung – werde ich gleich zu Beginn das persönliche Gespräch suchen.

Gibt es konkrete Ziele und Pläne, die Sie priorisieren und als erstes angehen wollen?

Die erste vordringliche Aufgabe ergibt sich aus dem Amt, ich werde den Haushalt für 2022 einbringen. Das ist auch politisch wichtig, denn mit dem Haushalt werden Weichen für die kommenden Jahre gestellt. Außerdem stehen zwei wichtige Personalentscheidungen an. Meine Stelle des Kreisrates und in Kürze auch die der Ersten Kreisrätin müssen nachbesetzt werden. Als inhaltliches Vorhaben will ich zu allererst den Klimasparbrief gemeinsam mit den regionalen Banken und Sparkassen umsetzen. Der Klimasparbrief soll Investitionen in den Kommunen ermöglichen, damit die kommunale Infrastruktur energetisch saniert werden kann.

Was liegt Ihnen in der Region besonders am Herzen? Welche langfristigen Projekte möchten Sie umsetzen?

Die Region hat sich in den zurückliegenden zehn Jahren richtig gut entwickelt. Wir spüren eine Aufbruchsstimmung und einen Geist der Kooperation. Damit diese positive Dynamik anhält, gilt es, einerseits Zukunftsprojekte in Angriff zu nehmen und andererseits, unsere regionale Handlungsfähigkeit weiter auszubauen. Der produktiven Zusammenarbeit zwischen der Stadt Göttingen, den Landkreisen Northeim und Goslar und den weiteren Nachbarlandkreisen mit dem Landkreis Göttingen kommt dabei eine ganz besondere Bedeutung zu. Ein strategisches Instrument dafür ist aus meiner Sicht die SüdniedersachsenStiftung, die wir gemeinsam mit allen Akteuren – Wirtschaft, Wissenschaft, Verwaltung und Politik – zu einer echten Regionalagentur weiterentwickeln sollten. "Echt" heißt für mich: akzeptiert, legitimiert und schlagkräftig; daran arbeiten wir.

Der Klimaschutz ist ein weiterer Schwerpunkt, bei dem ich nicht nur Risiken, sondern auch Chancen für unsere Region sehe, beispielsweise in puncto Wettbewerbsfähigkeit und Stärkung des ländlichen Raumes. Beim Thema Windenergie werden wir das vorliegende Konzept überarbeiten müssen. Neben den rechtlichen Vorgaben ist mir auch hier die Akzeptanz wichtig. Wir brauchen weitere Windräder, das sage ich deutlich. Und dabei, das ist mir durchaus bewusst, werden Konflikte auftreten. Mein Motto "Das neue Miteinander" steht dafür, dass wir den größtmöglichen Konsens anstreben. Wir können bei den Entscheidungen, die wir zu treffen haben, nicht alle Menschen zufrieden stellen; das kann deshalb auch nicht unser Anspruch sein. Umso wichtiger ist, dass wir nicht Politik mit der Brechstange machen, sondern beständig erklären, werben und offen sind für Argumente.

Weiterhin oben auf der Agenda bleibt der Ausbau des vorsorgenden Sozialstaates. Wir haben nach wie vor ein Problem mit Armut in unserem Landkreis. Die beste Form der Armutsbekämpfung ist, Armut gar nicht erst entstehen zu lassen, sondern vorausschauend zu agieren und vorsorgend tätig zu werden. Den Paradigmenwechsel hin zur Prävention habe ich bereits als Sozialdezernent eingeleitet und daran werde ich als Landrat festhalten. Und nicht zuletzt habe ich mir auf die Fahnen geschrieben, dass die Kreisverwaltung als Partnerin der Bürgerinnen und Bürger sowie der Städte und Gemeinden wahrgenommen wird. Die größte Stärke unseres Landkreises sind die Menschen, die ihn als ihre Heimat begreifen und hier mit tollen Projekten, Tatkraft, Mut, Unternehmertum und Entschlossenheit ihre Vorstellungen und Ideen umsetzen. Diese Menschen und ihre Projekte zu unterstützen, ist mir ein wesentliches Anliegen und liegt mir am Herzen. Und ich arbeite dafür, dass wir die Vorzüge unserer Region selbstbewusst nach außen tragen.

Welche Wünsche haben Sie persönlich und beruflich für die kommenden Jahre?

Meine persönlichen Wünsche sind leicht zu erraten. Neben allen beruflichen Herausforderungen möchte ich auch noch Zeit mit meinen beiden Jungs (ein Jahr und vier Jahre alt) verbringen können. Beruflich wünsche ich mir, dass die Finanzausstattung der Kommunen in der Post-Corona-Zeit nicht allzu stark durch Land und Bund beschnitten wird, damit wir uns die in den vergangenen zehn Jahren hart erkämpften Handlungsspielräume erhalten und sie nutzen können.

Wir wünschen Ihnen von Herzen alles Gute und gutes Gelingen!