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Artikelfoto Gudrun Surup. Foto: Privat

Personalschlüssel, Arbeitszeiten und gesellschaftliche Anerkennung

Im Gespräch mit Gudrun Surup: „Motivierte Pflegekräfte brauchen mehr als nur Geld“

Gudrun Surup arbeitete von 1977 bis 1986 in verschiedenen Krankenhäusern Deutschlands als Examinierte Krankenschwester. Ein Sozialwesen-Studium an der GHK Kassel sowie ein Aufbaustudium der Sozialen Gerontologie schlossen sich an. „Mein Leben lang konnte ich in den verschiedenen Funktionen die Entwicklung und Professionalisierung der Pflege erleben bzw. begleiten. Ich habe erlebt, welch hartem Alltag diese Berufsgruppe ausgesetzt ist.“

Gudrun Surup ist seit 2008 im Vorstand des DRK-Kreisverbandes Münden. 2015 fusionierte der DRK-Kreisverband Münden mit dem DRK-Kreisverband Göttingen. Es wurde dort ein aufsichtsführendes „Präsidium“ gebildet, bei dem sie die stellvertretende Präsidiumsleitung innehat und Ansprechpartnerin für soziale Belange ist. Wir sprachen mit Gudrun Surup über die Anhebung des Mindestlohnes in der Pflegebranche.

Frau Surup, kaum eine Branche leidet so sehr unter Personalmangel wie der Bereich Pflege. Kann die Anhebung des gesetzlichen Mindestlohnes diesen Mangel beheben?

Gudrun Surup: Vielen Dank für die Möglichkeit einer persönlichen Einschätzung der heutigen Situation. Sie haben Recht, ein wesentlicher Anteil unseres Pflegenotstandes besteht in der Unterbesetzung und dem Personalmangel. Dieses Problem ist nicht neu. Seit den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts machen sich kluge Köpfe Gedanken darum, wie man diesem Pflegemangel abstellen kann und doch zeigt sich, dass es ein vielschichtiges Problem ist, das nicht allein durch finanzielle Maßnahmen gelöst werden kann. 

Eine gut ausgebildete Krankenpflegekraft ist nicht vom gesetzlichen Mindestlohn abhängig, sie verdient – wenn es bei ihrem Arbeitgeber eine tarifliche Vergütung gibt – einen Tariflohn deutlich über dem Mindestlohn. Dies gilt im Übrigen auch für Pflegehilfskräfte. Indirekt nützt es den Pflegekräften natürlich, denn dadurch wird bei der nächsten Tarifrunde mit Sicherheit auch ein höherer Tarifabschluss vorgesehen werden. 

Was müsste darüber hinausgetan werden, um den Pflegeberuf attraktiver zu machen - sowohl für eine berufliche Neuorientierung als auch für Jugendliche auf Ausbildungssuche?

Gudrun Surup: Der Pflegeberuf ist eigentlich ein sehr attraktiver Beruf, denn entgegen der allgemeinen Auffassung erlebt man als Pflegekraft oft eine Dankbarkeit, die zum Weitermachen aktiviert.

Allerdings sind die Rahmenbedingungen nach wie vor schlecht: Mehrschichtensystem, ständiges Vertreten durch kurzfristige krankheitsbedingte Ausfälle von Kolleg*innen, ein zu geringer Personalschlüssel, zu wenig junge Pflegekräfte, die sich für den Beruf entschieden haben, d.h. zu viele offene Stellen. Dann kommen noch geringe Aufenthaltstage der Patient*innen, d.h. ein ständiges einstellen auf neue Personen, zu denen eine Arbeitsbeziehung aufgebaut werden muss, Doppelschichten in Pflegeheimen u.v.m. führen seit längerem zu relativ schnellem Burnout bei vielen Pflegekräften. Hinzu kommt die geringere Möglichkeit des „Aufstiegs“ oder der alternativen, aber fachbezogenen Tätigkeit, die auf dem Wissen aufbaut, aber neue Anwendungsfelder sind. Deshalb verlassen viele den Krankenpflegebereich nach einigen Jahren und arbeiten in ganz anderen Branchen. 

Junge Leute schreckt sicherlich der Dienst zu ungünstigen Zeiten, die hohe Anzahl der älteren, pflegebedürftigen Kranken zurück, vielleicht aber auch eine fehlende Aufklärung und vor allem ein zu wenig gelebtes positives Image der Pflegekräfte in unserer Gesellschaft zurück.

Reichen die neuen Mindestlöhne aus Ihrer Sicht und Ihrer Erfahrung aus oder hätten Sie sich einen höheren Anstieg gewünscht?

Gudrun Surup: Ich möchte zunächst mit einer kleinen Witzfrage antworten: Wie hoch liegt das Mindesteinkommen eines Managers? Antwort: Immer 10% über dem jetzigen Verdienst, den er in seiner jetzigen Stellung bekommt. Nein, Spaß beiseite: Geld allein wird in der Pflege keine neuen Pflegekräfte herbeilocken, keine ausgebrannten Pflegekräfte heilen oder neue Pflegestellen schaffen. Es ist eine von vielen Voraussetzungen, um Arbeitsbedingungen attraktiver zu machen, aber nicht die alleinige. Es müssen mehr Stellen geschaffen werden, die Attraktivität durch Verbesserung der Rahmenbedingungen, z.B. besserer Personalschlüssel, gute Arbeitszeiten und vor allem gesellschaftliche Anerkennung, die gesellschaftlich gelebt wird, gehören ebenfalls dazu. 

Können die Einrichtungen die Mehrkosten tragen, ohne das an anderen Stellen gespart werden muss?

Gudrun Surup: Da sehe ich ein wenig schwarz. In den vergangenen Zeiten waren es dann leitende Ärzte, Vertreter des Managements und ggf. IT-Kräfte, die in freien Verhandlungen gute Spitzenlöhne und beste Rahmenbedingungen aushandeln konnten, dafür mussten dann ggf. die unteren Chargen Abstriche hinnehmen. Ich hoffe, dass dies irgendwann einmal der Vergangenheit angehören wird, denn es sind die Arbeitskräfte am Patienten, die eigentlich die alltägliche Qualität eines Hauses ausmachen. Ich gehe davon aus, dass die Mehrkosten des Mindestlohnes bei den nächsten Budgetverhandlungen der Einrichtung mit einbezogen werden und deshalb keine Einsparungen erfolgen müssen. 

Wir wissen ja seit den jüngsten Medienberichten zu der Krankenhaus-Situation in Deutschland, dass mehr als die Hälfte wirtschaftlich und finanziell am Abgrund steht und sich das Gesundheitsministerium um ein neues Finanzierungsmodell bemüht, das heißt, dass hoffentlich die „Fallpauschalen“ bald der Vergangenheit angehören werden. Unsere Gesellschaft altert nach wie vor sehr stark, deshalb brauchen wir ein gesundes Gesundheitssystem mit gesunden Krankenhäusern, Pflegediensten und Pflegeheimen sowie genügend zufriedenen Pflegekräften, um gesund „unsere alten Tage“ erleben zu können.