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Artikelfoto Ottobock Running Clinic in Duderstadt mit Heinrich Popow. Foto Mika Volkmann

Training mit der Sportprothese für neue Mobilität

Mit Heinrich Popow bei der Ottobock Running Clinic in Duderstadt.

Zum ersten Mal fand die Ottobock Running Clinic in Duderstadt statt. Über ein ganzes Wochenende wurden Menschen mit Bein-Amputationen auf dem Sportgelände Auf der Klappe vom Ottobock-Mitarbeiter und mehrfachem Paralympics-Sieger Heinrich Popow (rechts im Bild) im Laufen mit Sportprothesen trainiert. Dabei ging es nicht in erster Linie um Leistungssport, sondern um Spaß an der Bewegung, Selbstvertrauen und Teamgeist Die 18 Teilnehmer*innen kamen mit ihren Begleitpersonen aus ganz Deutschland nach Duderstadt. „Manche sind schon länger amputiert, bei anderen liegt die Amputation erst wenige Monate zurück“, sagt Heinrich Popow, der seit 2011 gemeinsam mit Ottobock die Running Clinics initiiert. „Mir selbst hat der Sport nach meiner Amputation so viel gegeben, und davon möchte ich etwas weitergeben. Lange war der Rollstuhl die einzige Option nach einer Beinamputation, aber da hat sich inzwischen viel geändert. Wer wieder Sport treiben möchte, fragt sich allerdings, wie man eine Sportprothese benutzen kann. Um hier zu helfen, haben wir die Running Clinics ins Leben gerufen“, erklärt der ehemalige Profi-Sportler, der außerdem ausgebildeter Orthopädiemechaniker ist.

Auch sein Ottobock-Kollege Johannes Floors, ebenfalls Paralympics-Goldmedaillengewinner und Weltrekordler im 400-mSprint, unterstützt die Teilnehmer*innen bei ihren ersten Schritten auf den Sportprothesen. So unterschiedlich die Krankheitsgeschichten der Menschen sind, die zu Amputationen geführt haben, so individuell sind auch der Umgang mit Angst, Frustration, Mut und die persönlichen Ziele. Einige Teilnehmer*innen der Running Clinics möchten ihre Fitness und das eigene Körpergefühl trainieren, andere spielen schon mit dem Gedanken an Leistungssport, und manche wollen einfach mal ausprobieren, ob sie sich mit einer Sportprothese anfreunden könnten, um wieder mobiler zu werden. „Bisher fanden die Clinics unter anderem in Japan, China, USA, Brasilien und der Schweiz statt, nun zum ersten Mal in Duderstadt“, sagt Ottobock-PR-Manager Daniel Ernst. Denn nicht nur die Trainingseinheiten auf dem Sportgelände gehören dazu, sondern auch die professionelle Anpassung der Sportprothesen durch Orthopädietechniker*innen von Ottobock, etwas Theorie zur Biomechanik oder allgemeine Informationen, z.B. zum Beantragen einer Sportprothese bei der Krankenkasse. Doch vor allem der Teamgeist steht hier im Vordergrund.

„Beim gemeinsamen Abendessen in Duderstadt oder bei lockeren Gesprächen in den Trainingspausen lernen sich die Leute kennen und tauschen ihre Erfahrungen aus. Die meisten haben ihre Unterkünfte im Jugendgästehaus in unmittelbarer Nähe zum Sportgelände“, erzählt Daniel Ernst. Die ersten Schritte auf den federnden Carbonprothesen werden auf dem Sportplatz gewagt. Was bei den erfahrenen Profis Heinrich Popow und Johannes Floors leicht und dynamisch aussieht, ist für die Neulinge zunächst eine Frage der Balance und des Selbstvertrauens. Das Stehen und Laufen auf den Prothesen mit der recht kleinen Auftrittsfläche ist Übungssache. „Es gibt beim Laufen zum Beispiel die Momente, wo nur ein Fuß den Boden berührt oder wo beide Füße in der Luft sind. Dann ist es Kopfsache, die eigene Unsicherheit zu verlieren und die Balance zu finden. Angst hat weniger mit der Behinderung als mit der jeweiligen Persönlichkeit zu tun. Wir wollen den Menschen die Angst nehmen und ihnen helfen, ihre Ziele zu erreichen“, sagt Heinrich Popow.

Einer der Teilnehmer ist der 58-jährige Hannoveraner Jürgen Becker. Im Dezember 2022 wurden ihm beide Beine amputiert, nachdem er durch einen Insektenstich am lebensbedrohlichen Waterhouse-Friderichsen-Syndrom erkrankte und mehrere Monate im Koma lag. „Als ich aufwachte, wollte ich mit meinen Beinen die Bettdecke zurückschlagen, weil mir warm war. Aber das ging nicht mehr“, erinnert er sich an den Moment, in dem ihm klar wurde, dass sich sein Leben grundlegend geändert hatte. Doch aufgeben war für den vorher schon sportlich sehr Aktiven keine Option, auch wenn die erste Zeit der Hilflosigkeit hart für ihn war. Mit Unterstützung der Medizinischen Hochschule Hannover, insbesondere durch die Amputationsexpertin Dr. Jennifer Ernst, gelang ihm in nur wenigen Monaten der Weg zurück ins selbstständige Leben. Der nächste Schritt bedeutet für ihn: zurück in den Sport. „Ich würde gern wieder Fußball spielen!“, nennt Jürgen Becker einen seiner Gründe, bei den Running Clinics mitzumachen. „Das Gehen funktioniert schon ganz gut mit den Sportprothesen, schwieriger ist noch das Stehen auf der Stelle“, schildert er seine ersten Eindrücke. Doch mit seiner eigenen mentalen Stärke bestätigt er, was Heinrich Popow schon sagte: es ist Kopfsache, wie jemand mit seiner Behinderung umgeht. „Mit meinem Denken beeinflusse ich mein Handeln, und das hat Auswirkungen auf mein Fühlen“, erklärt Jürgen Becker, und sein Lebensgefühl ist inzwischen wieder von Selbstachtung und Optimismus bestimmt.

Einige der jüngeren Amputierten haben bereits bei den OttobockTalent-days für Kinder und Jugendliche in Leverkusen teilgenommen, unterstützt vom Deutschen Behindertensportverband und dem TSV Leverkusen. Nun machten sie weiter bei den ersten Running Clinics in Duderstadt, erklärt Daniel Ernst. Die Sportprothesen für beide Veranstaltungen stellt Ottobock zur Verfügung und lässt sie durch erfahrene Orthopädietechniker*innen individuell anpassen. Die Teilnehmer*innen haben so die Gelegenheit, verschiedene sportliche Disziplinen auszuprobieren und ein neues Körpergefühl zu finden. Austausch, Networking und Informationen rund um den Behindertensport machen sowohl die Running Clinics als auch die Talent-day.