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Artikelfoto Anna und Boris Kowaljenko (li.) mit Enkelin Marina (hinten) und Tochter Julia Kapuzina haben ihr Zuhause auf Zeit in Ziegenhagen gefunden. Zum Interview begleitete uns Ortsbürgermeister Manfred Harbusch (re.) und Dolmetscherin Natalia Heumann.

Ukrainische Flüchtlingsfamilie: Weihnachten im fremden Land

Als das Ehepaar Anna und Boris Kowaljenko seine Heimatstadt Kiew verlässt, herrscht Krieg.

„Wir haben an unserem Fenster gestanden und am Horizont gesehen, wie Raketen einschlagen.“ Das Gefecht rückt näher, Häuser brennen, die Senioren flüchten in den Keller. Die Großeltern stimmen sich mit ihren Töchtern Julia und Dascha ab: Die eine will mit ihrer Tochter und den Eltern fliehen, die andere zurückbleiben.

Dann erkrankt Anna Kowaljenko an Corona und muss ins Kiewer Krankenhaus. Ihre Tochter Julia steht vor einer Zerreißprobe. Kann sie ihre Eltern zurücklassen, um mit dem eigenen Kind ins sichere Europa zu fliehen? Sie fasst einen Entschluss und kommt Anfang März nach Deutschland. „Wir haben uns im Keller versteckt, Tische und Stühle zusammengeschoben und darunter gesessen“, berichtet die gelernte Immobilienmaklerin. „Und irgendwann ging es dann nicht mehr.“ Soldaten waren im Haus, die Einschläge kamen näher. Sie nahm die gepackte Tasche und fuhr gemeinsam mit Tochter Marina mit dem Zug über die Grenze. Nach einer mehrtägigen Fahrt mit verschiedenen Zwischenstationen erreichen die beiden das nordhessische Ziegenhagen. 

Hier hat man sich auf die Flüchtlinge vorbereitet. „Wir haben eine große Welle der Hilfsbereitschaft gespürt“, erinnert sich Ortsvorsteher Manfred Harbusch. Wohnraum wurde zur Verfügung gestellt, Kleidung gesammelt und Essensvorräte angeschafft. Julia und Marina waren in Sicherheit. Doch zurück blieben Julias Eltern und ihre Schwester Dascha. Diese ist auch heute noch in der Ukraine. Während unseres Gesprächs klingt das Handy: Dascha ist am Apparat und liefert uns einen kurzen Livebericht aus Kiew. „Mir geht es gut. Wir haben seit zwei Tagen wieder keinen Strom. Das ist schlimm. Langsam wird es kalt. Zwei-, dreimal am Tag gehen die Sirenen und wir sitzen dann im Keller. Gerade wird Kiew wieder stark beschossen.“ Die Verbindung bricht ab und Julia erklärt mit Tränen in den Augen: „Wir machen uns große Sorgen um meine Schwester.“ Auf unsere Frage, warum sie nicht auch nach Deutschland kommt, antwortet sie: „Wegen ihrer Arbeit. Sie leitet in Kiew eine Einrichtung für behinderte Menschen und will sie nicht allein lassen.“

Auch die Großeltern Anna und Boris Kowaljenko sind in Sorge. Die beiden kamen nach Annas Genesung ebenfalls nach Ziegenhagen. Hier haben sie eine kleine Wohnung gefunden und sind dankbar: „Als wir das erste Mal gehört haben, dass Bomben fallen, konnten wir es gar nicht glauben. Das wir in unserem Alter nochmal aus der Heimat fliehen müssen, hätten wir nie gedacht.“

Weihnachten steht bevor und für die Familie Kowaljenko wird es ein anderes Fest, als all die Jahre zuvor. Zum einen feiert man den Heiligabend in der Ukraine gar nicht am 24. Dezember und zum anderen ist ihre Familie zum ersten Mal seit Jahren nicht zusammen. Die Ukrainische Weihnachten wird von orthodoxen Christen nach dem julianischen Kalender gefeiert. So fallen der 24. und 25. Dezember auf den 6. und 7. Januar. Heiligabend ist in der Ukraine also am 6. Januar. Bis zu diesem Tag geht auch die Fastenzeit, die am Abend mit dem traditionellen Kutja beendet wird. Der Hirsebrei wird mit Nüssen, Honig, Mohn und getrockneten Früchten zubereitet und gilt als Festmahl. Außerdem reicht man Teigtaschen, die mit Sauerkraut und Kartoffeln gefüllt sind.  Unsere Frage nach ihren Weihnachtswünschen: “Der Krieg soll endlich aufhören!”